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Prognosen für das Wahljahr 2021 - Dynamische Wahlen mit offenem Ergebnis
Für eine hohe Wahlbeteiligung stehen die Chancen gut, sagen sowohl Faas als auch Höhne. | Foto: Element5 Digital von Pexels

Prognosen für das Wahljahr 2021 - Dynamische Wahlen mit offenem Ergebnis

24. Februar 2021

Neues Jahr, neue Wahlen: Der Deutsche Bundestag und das Abgeordnetenhaus werden im September gewählt. Damit wird für die Berliner*innen 2021 zum Superwahljahr. Vor diesem Hintergrund hat die BERLINboxx die beiden Wahlforscher Dr. Thorsten Faas, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität (FU) Berlin und Dr. Benjamin Höhne, stellvertretender Leiter des Instituts für Parlamentarismusforschung (IParl) in Berlin gebeten, für uns eine erste Prognose für die Hauptstadt abzugeben.

Die Themen

Die wichtigsten Fragen voran: Welche Themen werden eine Rolle spielen? Sind es die Dauerbrenner Mietendeckel und Wohnungsmangel oder liegt der Schwerpunkt auf Themen wie der Verkehrswende und der Digitalisierung der Verwaltung? Unsere Fragen beantwortet der Politikwissenschaftler Faas direkt mit einer weiteren Frage: „Oder vielleicht alles davon?“ Denn im Wahlkampf würde ja keinesfalls nur über Positionen gestritten, vielmehr sei ein Wahlkampf auch immer ein Streit darum, worum es bei einer Wahl überhaupt gehe. „Und so werden manche Parteien ganz viel über innere Sicherheit sprechen, andere über den Mietendeckel, andere über Verkehrswende usw. Und wer sich mit seiner Problemdefinition durchsetzt, der ist einem guten Wahlsieg sicherlich ein gutes Stück nähergekommen“, resümiert Faas.

Höhne geht sogar noch einen Schritt weiter. Bei Wahlen würden die Parteien nach Themen suchen, die die Menschen mobilisieren. Kaum jemand würde gegen die Digitalisierung der Verwaltung sein. Anders sähe es wiederum bei dem Streitthema Verkehrswende aus: „Vor allem wenn es darum geht, dass Innenstadtlagen für den Autoverkehr gesperrt werden. Das macht ökologisch viel Sinn, aber es kann auch Umdenkprozesse erfordern, die nicht von heute auf morgen geschehen.“ Zudem betont er, dass es immer auch um die Spitzenkandidat*innen und die Parteiidentifikation gehe: Beides sei noch immer ein ausschlaggebender Wahlgrund.

Der Einfluss von Corona

Die COVID19-Pandemie beherrscht unseren Alltag. Auch wenn das Virus mit dem Impfstoff im kommenden Jahr hoffentlich ein Ende hat, wird die Zeit in uns nachwirken. Das bestätigen uns die beiden Wahlforscher. Corona habe uns gelehrt, wie schnell sich Gewissheiten verabschieden und wie wenig wir in die Zukunft blicken könnten, sagt Höhne. Inwieweit wird nun die Corona-Pandemie die Wahl im Herbst 2021 beeinflussen? Ist wirtschaftliche (Un-)Sicherheit dabei ein relevanter Faktor? Welche Auswirkungen wird das Krisenmanagement auf die Wahlen haben?

Höhne betont, dass sich die regierenden Parteien bei einem erfolgreichen Krisenmanagement in einer mächtigeren Ausgangsposition als die Oppositionsparteien befänden. „Wirtschaftliche und soziale Härten wurden bisher abgefedert. Von daher besteht wenig Anlass für eine allzu pessimistische Sicht“, so der Wahlforscher. Ein entscheidender Faktor und Einfluss auf die Wahl bleibe allerdings die Ungewissheit darüber, wie Berlin nach der Krise dastehen wird. Zudem hat Corona in der Politik einen starken Konsens hervorgerufen, doch auch eine entscheidende Lücke geschaffen: „Zum anderen hat sich durch die Corona-Allparteienkoalition in der Bund-Länder-Runde eine Repräsentationslücke geöffnet, in die die sogenannten Querdenken-Proteste einzustoßen versuchen. Der rechtspopulistischen AfD gelingt es bisher kaum, daran anzudocken. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese außerparlamentarische Opposition, die in sich sehr heterogen ist, noch weiteren Zulauf verbuchen wird“, erklärt Höhne.

Faas unterstreicht, dass sich wohl alle Parteien dem Thema stellen müssen und anderes als bei anderen Themen wenig Freiheiten hätten, denn man könne davon ausgehen, dass die Pandemie im Herbst 2021 noch nicht gänzlich verschwunden sei. Aktuell gäbe es, wie Höhne ebenfalls konstatierte, wenig Kontroversen beim richtigen Umgang mit der Krise. Kommen wir allerdings zu dem Punkt, dass sich die Situation wieder normalisiert, würden, so Faas, durchaus Fragen des Umgangs und der Prioritätensetzung in den Fokus geraten.

Wahlbeteiligung

Bei den Wahlen der jüngeren Vergangenheit hat sich die Beteiligung deutlich erhöht, bestätigen die beiden Wahlforscher. Für Faas erklärt sich dies mit den erhöhten Wahlmöglichkeiten, die in den Augen der Wähler*innen zugenommen hätten. Außerdem kämen mit der Wahl zwei Besonderheiten: „Sie wird erstens mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitgleich zur Bundestagswahl stattfinden, was die Wahlbeteiligung deutlich ansteigen lassen wird. Zweitens bleibt die Frage der Pandemie… was insgesamt mit Blick auf Wahlen noch ein großes Fragezeichen darstellt“, so Faas.

Höhne führt die erhöhte Wahlbeteiligung auf den gesteigerten Populismus zurück: „Auch, wenn am Populismus vieles kritikwürdig oder sogar gefährlich ist, hat die populistische Mobilisierung vor allem von früheren Nichtwählern auch zu einer Rückbesinnung über demokratische Werte in der Gesellschaft und zu einer Gegenmobilisierung geführt. Bestenfalls werden durch neue Dynamiken bei Wahlen demokratische Erneuerungsprozesse angestoßen und die Demokratie kann veränderten gesellschaftlichen Erwartungen Rechnung tragen.“

Noch bleibt es bei einer vorsichtigen Prognose, wer den leeren Plenarsaal im Herbst füllen wird. | Foto: Landesarchiv Berlin/Thomas Platow
Noch bleibt es bei einer vorsichtigen Prognose, wer den leeren Plenarsaal im Herbst füllen wird. | Foto: Landesarchiv Berlin/Thomas Platow

Regierungswechsel in der SPD-Hochburg Berlin?

Aktuell gibt es bei den Umfragewerten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Grünen und der CDU. Ist also für die Wahl ein Stimmungswechsel Richtung CDU, evtl. in Kombination mit den Grünen zu erwarten? Oder bleibt die SPD führende Regierungspartei?

In den Antworten der beiden Wahlforscher klingt nach, dass diese Wahl, aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre, eine besondere sein wird. Stärkste Partei zu sein, bedeute nicht mehr automatisch, den Regierenden Bürgermeister zu stellen, erklärt Höhne. Die Zeit der klassischen Lagerkoalitionen einer Volkspartei mit einem Juniorpartner sei vorbei. Vielmehr wären Dreierkoalitionen an der Tagesordnung. Auch Minderheitenregierungen seien immer wahrscheinlicher. Die Chancen für eine Koalition mit grün oder schwarz sind in seinen Augen allerdings durchaus da. „Eine ganz entscheidende Frage ist, für welche Bündnisoptionen die Parteien stehen. Eine Koalition unter Einschluss von schwarz und grün ist sicherlich nicht nur nach der nächsten Bundestagswahl im Bund eine Wette wert“, so der Leiter des IParl.

Faas weist zudem darauf hin, dass bei der Wahl des Abgeordnetenhauses kaum jemand zur Wiederwahl stehe. Er wagt aufgrund der Dynamik, die Wahlen in letzter Minute annehmen können, keine Prognose: „Schon bei früheren Wahlen haben sich sehr viele Menschen erst spät im Wahlkampf entschieden – dieses Mal könnten das noch mehr sein. Und das kann zu großer Dynamik auf der Zielgerade führen… und das ist doch eine gute Sache! Wer heute schon weiß, wie 2021 die Wahlen ausgehen, der ist entweder genial oder nimmt den Mund vielleicht etwas zu voll. Freuen wir uns doch auf einen spannenden Wahlkampf mit spannenden Debatten und schauen mal, wie sich die Wähler*innen am Ende entscheiden.“

Die Spitzenkandidaten

Faas misst den Spitzenkandidat*innen eine wichtige Rolle bei. Zwei Faktoren seien dabei entscheidend: das Vertrauen der Menschen und der Bekanntheitsgrad der Kandidat*innen. Gerade letzteres sei keine Selbstverständlichkeit, so der Professor für Politikwissenschaft an der FU. Sowohl Faas als auch Höhne sehen bei der Frage, wen sie derzeit vorn sehen und welche Auswirkungen die Nennung der Spitzenkandidat*innen auf die Wahl haben könnte, eine große Unbekannte. Zu vieles könnte sich in der letzten Minute ändern. „Gut ein halbes Jahr vor der Wahl eine Prognose abzugeben, ist unseriös. Das Wahlverhalten wird immer volatiler. Manche entscheiden sich erst in der Wahlkabine. Für die Parteien bedeutet diese Unsicherheit nicht nur Nachteile, sondern sie können bis zuletzt Wählerstimmen maximieren“, erklärt Höhne.

Den von Faas angesprochene Bekanntheitsgrad sieht Höhne am ehesten bei Franziska Giffey: „Dennoch liegt man sicherlich nicht falsch damit, dass Franziska Giffey als die Spitzenkandidatin der SPD und populäre Bundesministerin im Vergleich zu ihren Konkurrent*innen am bekanntesten ist. Aber das Personal ist wie gesagt nur ein Wahlgrund. Außerdem ist unklar, wie sich die Affäre um ihre Doktorarbeit schlussendlich bei der Wahl zum 19. Berliner Abgeordnetenhaus auswirken wird.“ Mit viel Elan und fünf Bs für Berlin: „Bauen, Bildung, Beste Wirtschaft, Bürgernähe, Berlin in Sicherheit“ ist Giffey bereits in den Wahlkampf gestartet. Nach aktuellen Prognosen haben insbesondere Bündnis90/Die Grünen bei der Abgeordnetenwahl sehr gute Chancen. Zur Spitzenkandidatin wählten sie Bettina Jarasch. In Ihrer Bewerbungsrede hob Jarasch eine schnelle Verkehrswende, einen fairen Wohnungsmarkt, eine sozialökologische Wirtschaft und ein weltoffenes Berlin als ihre Kernanliegen hervor.

Fazit

Wie bei jeder Wahl wird auch die Wahl in Berlin erst am Wahlabend entschieden. Das haben uns die beiden Wahlforscher klar gemacht. Wer wählt die richtigen Themen und kann genügend Menschen mobilisieren? Wer schafft es genug Bekanntheit zu erlangen? Außerdem ist nicht klar, welche konkreten Auswirkungen die Corona-Pandemie haben wird – dass sie die Wahl beeinflussen wird, ist unbestreitbar. Die Wahlen der jüngsten Vergangenheit haben zudem gezeigt, dass in den Monaten vor dem Wahltermin noch viel Dynamik in den Wahlkampf kommen wird. Das Ergebnis mag uns daher vielleicht überraschen. In jedem Fall stehen die Chancen für eine Regierende Bürgermeisterin ab September 2021 sehr gut. (aw)